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Das Deppenleerzeichen gibt es nicht: Eine Art Replik

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Ich habe kürzlich ein Gespräch mit Michel Winde von der dpa geführt — über Leerzeichen und Bindestriche in Komposita. Es ging dabei um sehr emotional besetzte Schreibungen wie z.B.

Johannes Gutenberg-Universität

dpa-Kindernachrichten

Würfel Zucker

Nun ist ein Artikel entstanden, in dem sich Spurenelemente des Interviews wiederfinden.1 Der Text nervt mich. Neben inhaltlichen Aspekten (dazu gleich mehr) finde ich es unredlich, dass durch extreme Zitatmontage der Eindruck entsteht, alle Interviewten hätten ein Gespräch miteinander geführt, aufeinander Bezug genommen. So z.B.:

Sprache ändert sich. „Aus sprachwissenschaftlicher Sicht finde ich das spannend“, sagt Kopf über das Deppenleerzeichen. Allerdings gehen auch Ausdrucksmöglichkeiten verloren. Ein „Chefingenieur“ sei nun mal etwas anderes als ein „Chef Ingenieur“, sagt Lutz.

Ich hatte aber weder mit den wissenschaftlicheren Stimmen noch mit Bastian Sick oder Titus Gast irgendeine Art von Austausch und der suggerierte Konsens zum Thema existiert auch nicht.

Ganz abgesehen davon habe ich wirklich keinen blassen Schimmer, was denn ein <Chef Ingenieur> anderes sein soll als ein <Chefingenieur>. Kann mir da jemand helfen? Und welche "Ausdrucksmöglichkeiten" sollen das sein, die man da verliert? In der gesprochenen Sprache gibt's auch keine Getrennt– und Zusammenschreibung und trotzdem funktionert die Kommunikation ganz wunderbar. Das Englische, wo Komposita oft getrennt geschrieben werden, leidet meines Wissens auch nicht gerade an Ausdrucksarmut.

Die Deppen, das sind die anderen

Der zweite übergreifende Punkt, der mich nervt, ist, dass das Wort "Deppenleerzeichen" überall vorkommt und so getan wird, als sei das ein etablierter Fachbegriff. In Wirklichkeit ist das Wort einfach nur widerlich: Es klassifiziert Menschen, die nicht normgerechte Leerzeichen benutzen, als dumm. Das Muster kennt man zur Genüge: Auch wer Tippfehler macht, umgangssprachliche Syntax schreibt oder dialektale Einflüsse in der Standardsprache hat, wird gerne dafür abqualifiziert. Was kann man daran tatsächlich sehen? Dass — und darüber habe ich sehr lange und wohl leider vergeblich mit Herrn Winde gesprochen — das Schreiben und Sprechen demokratisiert wird. Was lange Zeit auf privates Gespräch und private Texte beschränkt war, bekommt zunehmend Öffentlichkeit: In der gesprochenen Sprache, weil es auch im Radio und Fernsehn zunehmend informeller zugeht (nicht erst seit dem Internet!) und auch Privatleute Youtubevideos oder Podcasts machen. In der geschriebenen Sprache (also da, wo das Leerzeichen ins Spiel kommt), weil die medialen Gatekeeper wegfallen: Im Internet kann jede/r schreiben und gelesen werden. Viele Kommunikationsarten gehören hier zur sogenannten "konzeptionellen Mündlichkeit": Man schreibt zwar, die Texte haben aber eher Gesprächscharakter und sind nicht für die Ewigkeit gedacht. Auch Menschen, die früher schriftlich kein "Gehör" gefunden hätten, werden nun gelesen — darunter viele Menschen mit einem niedrigeren formalen Bildungsgrad, Menschen, die nicht "was mit Medien" arbeiten und entsprechend weniger geübt sind, was orthographische und textsortenbezogene Normen angeht. "Deppenleerzeichen" ist diesen Menschen gegenüber ekelhaft arrogant, es kommt aus einer Ecke, in der man auch "Hauptschüler" oder "Bauer" für ein Schimpfwort hält.

Hauptprinzip: Auffälliges Trennen

So, jetzt, wo die Hauptpunkte aus der Welt sind, können wir tatsächlich noch ein wenig über die Schreibung von Komposita reden. Ich greife einige Stellen aus dem Artikel heraus und kommentiere oder ergänze.

Dabei fristet der Bindestrich seit Jahren ein kümmerliches Schattendasein. Das Deppenleerzeichen greift um sich.

Dafür würde man doch gerne irgendeine Art von Nachweis sehen. Der Bindestrich ist, jede Wette, noch tausendmal verbreiteter als das Leerzeichen in Komposita — eben weil er teilweise der etablierten Norm entspricht und daher in lektorierten Texten bevorzugt wird. Was stimmt, ist, dass das Leerzeichen und der Bindestrich in einer gewissen Konkurrenz zueinander stehen: Beide werden insbesondere dann genutzt, wenn die Wortstruktur irgendwie "auffällig" ist. Beide sind nämlich eine Art Strukturierungshilfe.

So eine Auffälligkeit kann rein graphisch bedingt sein: Wenn Nicht-Buchstabenzeichen oder Groß– und Kleinbuchstaben an unerwarteten Stellen auftauchen, wird normgerecht der Bindestrich genutzt. So findet man <AIDS-Behandlung>, <Schüler/innen-Ticket>, <dpa-Artikel> oder <50-Tonner>. Zusammenschreibung würde hier verwirren, bei einer <AIDSBehandlung> erkennt man nicht gleich, wo die Abkürzung aufhört, bei einem <Schüler/innenticket> will man nach <Schüler> schon einen Sinneinschnitt machen.

So eine Auffälligkeit kann aber auch mit dem Wort selbst zu tun haben. Zum Beispiel habe ich gesagt:

„Namen werden oft anders behandelt als andere Wörter“

Das liegt daran, dass Namen häufig nicht die typische Wortstruktur von Substantiven einhalten und da es sehr viele Namen gibt, kennt man natürlich auch nicht alle. Wenn man Namen innerhalb von Komposita durch Bindestriche oder Leerzeichen abgrenzt, werden sie schneller als solche erkannt. Deshalb gibt es auch die <Johannes Gutenberg-Universität>, ein Name, der einen Namen beinhaltet. Ganz ähnlich ist das mit Fremdwörtern: Auch sie sind strukturell ungewöhnlich und deshalb markierungsbedürftig. Ich habe dazu mal eine kleine Recherche gemacht, bei der sich gezeigt hat, dass von 937 Bindestrichkomposita mit den Anfangsbuchstaben A oder B, die im Internet verwendet wurden, nur 78 keinen strukturell auffälligen Bestandteil hatten.2

Der Bindestrich ist in solchen Fällen ein praktischer Kompromiss: Man zeigt an, dass die Bestandteile zusammengehören, unterstützt aber bei der erwartbar schwierigeren Segmentierung. Das Leerzeichen tut nur letzteres — aus der Verarbeitungsperspektive nicht ganz ideal, aber es hat gegenüber der Zusammenschreibung trotzdem Vorteile.

Bei Komposita, die schon sehr lange etabliert sind und nur "normale" Wörter beinhalten, ist das anders: Hier kennen wir meist das Wortbild schon und entsprechend kommt man zwar oft auf die Idee, <Acerola-Kirsche> oder <Acerola Kirsche> zu schreiben, aber eher nicht <Haus-Tür> oder <Haus Tür>.

Verständnisboykott

Vielleicht sind die verlorenenen "Ausdrucksmöglichkeiten", die beklagt werden, die angeblich verlorengegangenen Unterscheidungen aus dem Anreißer:

„Sechs Korn Müsli“, „Würfel Zucker“, „Behinderten WC“ – häufig werden zusammengesetzte Wörter durch Leerzeichen getrennt. Das ändert ihre Bedeutung – und ist falsch. Ist die Smartphone-Kommunikation schuld?

[…]

Bedenklich sei, wenn durch ein falsches Leerzeichen die Verständlichkeit eingeschränkt werde. Beispiel „Zugang zum Behinderten WC“: „Da steht dann, dass das WC behindert ist. Es führt einfach auf eine falsche Fährte“, sagt Gast.

Haaaaa. Haaaa. Haaaa. Logisch! Wenn auf einer Müslipackung "Sechs Korn Müsli" steht, denke ich, dass das nur sechs Körner drin sind, und kaufe das nicht! Wenn ein "Behinderten WC" ausgeschildert ist, denke ich, dass das WC eine Behinderung hat, eine sehr übliche Eigenschaft von Toiletten. Und wenn jemand "Würfel Zucker" kaufe, dann … äh … ja. Vier Punkte dazu:

  1. Das Weltwissen. Wir erwarten bestimmte Dinge. Zum Beispiel eine Toilette für Behinderte. Und wir erwarten andere Dinge nicht. Zum Beispiel, dass es jemand für nötig erachten sollte, ein WC mittels offizieller und permanenter Aufschrift als behindert zu bezeichnen.
  2. Schreibung ist mehr als die Frage nach zusammen und getrennt. Steht irgendwo <zum Behinderten WC>, dann haben wir noch die Großschreibung, die zeigt, dass <Behinderten> ein Substantiv ist, kein Adjektiv.
  3. Und es gibt da auch noch den grammatischen Kontext. Steht an einer Toilette nur <Behinderten WC>, kann <Behinderten> auch aufgrund seiner Endung niemals als Adjektiv aufgefasst werden. Wenn man die Lesart wirklich wollte, müsste man <Behindertes WC> schreiben. Man muss sich insgesamt schon bösartig dumm stellen, um auch nur in die Nähe einer Verwechslungsgefahr zu geraten. Wenn jemand schreibt <Ich brauche Würfel Zucker>, dann ist durch die Abwesenheit des Artikels schon klar, dass die Stoffbezeichnung Würfelzucker gemeint ist. Wenn es dagegen heißt <Ich brauche einen Würfel Zucker>, dann liegt es nahe, dass tatsächlich nur ein Würfel gewünscht wird.
  4. Dass wir uns i.d.R. nicht bösartig dumm stellen (außer wir schreiben "sprachkritische" Texte mit "humorvollem" Einschlag), liegt daran, dass Sprache ein Kommunikationsmittel ist. Entsprechend unterstellen wir allen Sprachbenutzer/innen generell, dass sie sinnvoll und verständlich kommunizieren wollen und dass sie, falls sie irgendeine abwegige Nebenlesart wünschen, das auch deutlich machen.

Englisch, Englisch, zu Hülf, Englisch!

Der Frage nach der Herkunft der Leerzeichen wird im Text etwas ausführlicher mit drei Vermutungen nachgegangen. Wenn man Bastian Sick fragt, weiß man natürlich vorher schon, was kommt:

„Der allgemeine Trend ist eben, dass wir uns ganz und gar am Englischen orientieren“, sagt Autor Sick. Im Englischen gibt es zusammengeschriebene Komposita nämlich nicht; stattdessen werden Leerzeichen gesetzt. Es heißt „online banking“, nicht wie im Deutschen „Online-Banking“ oder gar „Onlinebanking“.

Natürlich gibt es im Englischen neben getrennten auch zusammengeschriebene Komposita (z.B. <houseboat>, <rooftop>, <landowner>) und Komposita mit Bindestrich (<house-warming>, <roof-tree>, <land-leave>), und sogar Fälle, bei denen alles vorkommt (<land line>, <land-line>, <landline>). Aber ja, das Englische hat durchaus bedeutend mehr getrennt geschriebene Komposita als das Deutsche. Dass es unser Schreibvorbild ist, müsste aber erst mal nachgewiesen werden. Oft scheint der Zusammenhang klar, und dann stellt sich heraus, dass die entsprechenden Formen oder Schreibungen schon lange vor dem intensiven Kontakt mit dem Englischen bestanden — möglicherweise versteckt in der privaten Schriftlichkeit. (Ein solcher Fall ist der ebenfalls oft beklagte Apostroph.) Es ist absolut legitim, sich Gedanken über die Rolle des Englischen zu machen, aber den Zusammenhang einfach so zu behaupten, ist Quark.

Das Leerzeichen in Komposita zeigt viele spannende Aspekte auf: Zum einen zeigt es, wie sich geändert hat, wer öffentlichen schreiben darf. Zum anderen zeigt es, welche Wortbestandteile besonders auffällig sind und verrät dabei etwas über Kern und Peripherie von Wortschatz. Und zum dritten zeigt es, dass man als Sprachwissenschaftlerin seine Artikel doch am besten selbst schreibt.

Literatur:

Kristin Kopf (2017): Fugenelement und Bindestrich in der Compositions–Fuge. Zur Herausbildung phonologischer und graphematischer Grenzmarkierungen in (früh)neuhochdeutschen N+N-Komposita. In: Nanna Fuhrhop, Renata Szczepaniak & Karsten Schmidt (Hgg.): Sichtbare und hörbare Morphologie. Berlin, New York: de Gruyter. 177–204. [Manuskriptversion zum Download]

 

 

 

 

  1. Meine Zitate wurden freigegeben, den ganzen Text kannte ich vorher nicht.
  2. Daten aus dem COW-Korpus, s. Kopf (2017).

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